Im Rahmen der Überlegungen zum Klimaschutz-programm der Stadt Tübingen wird auch erwogen, dass Windkraftanlagen (WEA) auf das Stadtgebiet Tübingen gebaut werden sollen. Zwei sogenannte Vorrangzonen sind dabei Waldgebiete: der Schönbuch bei Pfrondorf und der Rammert. Da es sich in beiden Fällen um sehr wertvolle Ökosysteme handelt, hat der NABU Tübingen sich dazu entschlossen ein Artenschutzgutachten anfertigen zu lassen; vorerst für das Gebiet des Rammert.
Die Ergebnisse dieses Gutachten werden für den Herbst diesen Jahres erwartet.
An dieser Stelle möchten wir bereits jetzt einen Einblick geben in das Ökosystem Wald und seine Bedeutung für den Menschen und das Klimageschehen im Allgemeinen, und die Stellung des Rammert für Tübingen im Besonderen.
Die Bewahrung der Artenvielfalt und der Schutz der Arten in ihren natürlichen Lebensräumen und mit ihren angestammten Lebensgemeinschaften ist für uns Menschen von existenzieller Bedeutung. Jede ökologische Nische, die unbesetzt bleibt, weil die entsprechende Art ausgestorben ist, schwächt die Funktions- und Leistungsfähigkeit der Ökosysteme. Mit jeder ausgerotteten oder gefährdeten Arten kappen wir ein weiteres Tragseil in der Hängebrücke des Lebens.
Wälder gehören zu den ursprünglichen Lebensräumen in Deutschland. Doch inzwischen ist nur noch rund ein Drittel der Gesamtfläche Deutschlands bewaldet (Umweltbundesamt, 2020). Wälder sind dabei eine der wichtigsten ‚global player‘ für das gesamte Klimasystem. Sie speichern langfristig Treibhausgase, produzieren Sauerstoff und sind durch die klimatischen Bedingungen in den Wäldern selbst wichtige Puffer für Wetterextreme. Sie stabilisieren und bereichern die Böden und das Grundwasser. Laubbäume wie Buchen sind besonders wertvoll für das Klima. Sie nehmen weit mehr CO2 auf als Nadelbäume. Je älter die Bäume, desto besser.
Ungefähr 4.300 Pflanzen- und Pilzarten und schätzungsweise 5.700 bis 6.700 Tierarten kommen in mitteleuropäischen Buchenwäldern vor. Die meisten Tierarten der Wälder bekommen wir jedoch nie zu Gesicht. Insekten wie z.B. Netzflüglerarten, Schmetterlinge und Wanzen verbringen den Großteil ihres Lebens in den Kronen der Bäume. Dabei ist die Artenvielfalt in Laubbäumen sehr viel höher als in Nadelbäumen. Besonders für die größte Gruppe der Insekten - die Käfer - sind Wälder unersetzbar. Einige Käferarten verbringen ein oder mehrere Lebensstadien direkt im Holz (z.B. Bockkäfer), in der Rinde (z.B. Prachtkäfer), oder in Höhlen. Eichen stellen dabei meist die artenreichsten Behausungen.
Auch das Alter und der Zustand der Bäume sind wichtige Faktoren für die Artenvielfalt. So ist Totholz eines der wichtigsten ökologischen Strukturelemente. Es dient als Lebensraum, Nistplatz und Überwinterungsort für viele Arten von Pilzen, Insekten und Säugetieren. Für die Vogelvielfalt gilt derselbe Grundsatz: je älter der Wald, desto mehr Vogelarten finden sich. Alte (Laub-)bäume bieten durch ihren größeren Umfang Platz für Bruthöhlen für Vögel und Fledermäuse. Die Rinden der Bäume werden mit dem Alter immer ‚faltiger‘, bieten so mehr Lebensraum für Insekten und somit wiederum mehr Nahrung für die fliegenden Waldbewohner. Junge Waldstücke hingegen bieten viel Nahrung für Reh und Co., alte früchtetragende Bäume energiereiches für Eichhörnchen, Dachs, Wildschwein und Co.
An der Art der Nutzung der Wälder entscheidet sich, wie nahe unsere Gesellschaft einem ganzheitlichen Ansatz für den Naturschutz in den Wäldern kommt. Die Behandlung der Wälder ist von entscheidender Bedeutung für den Schutz der natürlichen Ressourcen Luft, Wasser, Boden und Biodiversität. Neben den Belangen der Holznutzung sind also alle Wohlfahrtsfunktionen des Waldes beinhaltet.
Der Rammert zieht sich auf etwa 18 km Länge von Rangendingen im Südwesten nach Tübingen im Nordosten, und ist zwischen Rottenburg am Neckar im links begleitenden Neckartal und Ofterdingen rechts auf dem Albvorland mit 7 km Querausdehnung am breitesten. Im Nordwesten und Norden begrenzt ihn das Neckartal, im Nordosten das Steinlachtal und im Südwesten das Durchbruchstal der Starzel. Im Nordosten läuft er spitz aus, wodurch er ungefähr Keilform hat.
Höchster Punkt ist mit 593,9 m die Hohwacht zwischen Rangendingen und Bodelshausen, gefolgt vom Langen First bei Hirrlingen mit 557,5 m Höhe und dem 555,7 m hohen Lausbühl unweit des Schadenweilerhofs bei Rottenburg. Die nach Westnordwesten bis Ostnordosten laufenden Täler von Krebsbach, Katzenbach und Vorbach/Bühlertalbach gliedern den Rammert stark.
Der Rammert ist wegen seiner für den Ackerbau ungünstigen Sand- und Tonböden überwiegend bewaldet. Seine Wälder werden forstlich genutzt. Hauptbaumarten sind Rotbuche, Fichte, Waldkiefer und Eiche. In vielen Bereichen handelt es sich um einen artenreichen Mischwald von zum Teil hohem Alter. Ausgedehnte Feuchtwiesen bedecken nur Teile der Täler.
Der Rammert ist ein wichtiges Naherholungsgebiet. Deshalb wurden die Landschaftsschutz-gebiete Rammert mit 3.616 Hektar und Rauher Rammert mit 2.303 Hektar ausgewiesen. Das Katzenbachtal, das die beiden Gebiete trennt, steht wegen seiner besonderen Naturausstattung mit einer Fläche von 121,3 Hektar unter dem Namen Katzenbach-Dünnbachtal seit dem 19. Dezember 1996 unter Naturschutz.
Das Bühlertal im Nordwesten des Rammert ist ein von Straßen und Siedlungen unbehelligtes Wiesentälchen, in dem der Vorbach und sein Unterlauf Bühlertalbach natürlich mäandrieren und große Areale von blütenreichen Feuchtwiesen eingenommen werden. Es war lange Jahre durch ein Staudammprojekt in seiner Existenz bedroht. Unter dem Namen Bühler Tal und Unterer Bürg ist es seit 10. März 1993 mit 84,3 Hektar ebenfalls Naturschutzgebiet.
Die Natur- und Landschaftsschutzgebiete überlagernd, gehören Teile des Rammert zum 2.860 Hektar großen FFH-Gebiet Rammert. Unter dem Namen Mittlerer Rammert besteht im nördlichen Teil außerdem ein Europäisches Vogelschutzgebiet.
Im nächsten Teil werden wir uns mit den Ergebnissen des Artenschutzgutachtens für den Rammert beschäftigen.